Fairphone 4 Test – ein Lichtblick im Konsumkarussell

From the earth to your pocket, a smartphone’s journey is filled with unfair practices. We believe a fairer electronics industry is possible. By making change from the inside, we’re giving a voice to people who care.

Um das direkt anzusprechen. Ich bin, oder vielmehr war, ein Techie. Darunter mag jeder etwas leicht anderes verstehen, und sich selbst als solcher zu bezeichnen ist für Mitglieder der Zunft schon irgendwie Frevel und birgt leichten Cringe. Als man früher mein Zimmer oder meine Werkstatt sah, bekamen viele Normies einen kleinen Schock und man sah Ihnen an, dass sie aus Vorsicht vor dem, was denn da alles ‚rumlag, -hing oder – sirrte, den Raum nur mit Vorsicht betraten. Ich wusste über jeden neuen ****** Bescheid und ich bin in jeden Elektroschrott Container gesprungen, auf der Suche nach dem nächsten Goldfund. Jeder build (Bau eines neuen PCs) wurde auf die bestmögliche Leistung, Kühlung und Lautstärke hin konstruiert. Das Erste was ich mit einem neuen Smartphone anstellte, war die Herstellersperrung zu umgehen um alternative Betriebssystem zu installieren oder mithilfe von rooting, Funktionen zu erhalten, die sonst nicht verfügbar gewesen wären.

All das bekam mit zunehmendem Wissen um unsere globale Lage einen bitteren Beigeschmack.

Heutzutage habe ich mich stark gebessert und nutze fast ausschließlich freie Betriebssysteme wie Linux, BSD und Android (ohne Google ;-)). Das ständige Vergleichen von Features und Preisen hat sich größtenteils aufgelöst – denn wenn wir mal ehrlich sind – im Großen und Ganzen wird einfach immer wieder neu aufgekocht um vermeintliche Neuerungen wie „15% schnellerer Prozessor“, „revolutionäre Kamera“ oder dem noch eleganteren Design irgendwie unter die Leute zu bringen…. Das Konsumkarussell muss halt immer weiter gehen…

Seit Jahren kaufe ich nur noch gebraucht, und bin in der Fraktion „das kann man noch reparieren“ angekommen. Mein kürzlich verstorbenes Smartphone stammte aus dem Jahr 2017 und hat Verbiegen, Bewässern sowie diverse Stürze und Strandaufenthalte überlebt. Jetzt war es aber doch Zeit für einen Nachfolger, denn Reparatur um Reparatur hatten ihre Spuren hinterlassen und ein finaler Fehler bei der Bastelei hatte das Gerät in einen Backstein verwandelt. Die Suche nach dem nächsten letzten Handy begann also mal wieder.

Doch wie soll das gehen, mit dem Wissen darum, was für eine gigantische ökologische und menschenverachtende Dreckschleuder ein Smartphone ist. Materialien werden mittels moderner Sklaverei in Ländern wie Peru, der Republik Kongo oder Südostasien abgebaut um dann in Fabriken zusammengebaut zu werden, die wie Städte aus einem dystopischen science fiction Roman wirken. Am Ende der Kette, wenn der ganze Elektromüll in Ghana oder Südostasien abgeladen wird, fühlt man sich eher an ein Steampunk-Mordor erinnert.

Wer versucht bei der Kaufentscheidung eines Smartphones faire Arbeitsbedingungen und ökologische Verträglichkeit einfließen zu lassen, fällt schnell auf einen harten Boden stinkender Tatsachen. Vorausgesetzt ich kann keinen Neukauf verhindern, indem ich mein altes Gerät, wenn überhaupt möglich, reparieren lasse und dem immer währenden Sturm von Marketing, peer-pressure und innerem Schweinehund trotze, bieten sich einem zwei Optionen.

  • Option A: Ich ignoriere die Tatsachen und gehe meinem Stammhirn nach: „Ich will halt n geiles neues Gerät haben, basta!“. Ein Teil meiner 60, oder wie viel auch immer, Sklaven im globalen Süden, wird schon nicht mitbekommen, für wen sie da ackern.
  • Option B: Ich akzeptiere die Realität und gebe mich damit zufrieden, dass ein Smartphone, das Mensch und Natur respektiert in Sachen Preis/Leistung einfach nicht mit den Angeboten von Samsung, Google und Apple mithalten kann.

Insofern man sich für Option B entscheidet wird der Rahmen der Möglichkeiten drastisch schrumpfen, denn hier gibt es sehr, sehr wenige Hersteller die auch in Deutschland erhältlich sind. Das sind unter anderem die mehreren Modelle des hessischen Herstellers Shift sowie das alle 1-2 Jahre erscheinende Fairphone aus den Niederlanden.

Enter the Fairphone.

Bis jetzt war Option B deutlich schwerer zu schlucken, doch seit der dritten Revision des niederländischen Herstellers Fairphone B.v hat man tatsächlich dieses wohlige Gefühl im Bauch, mit seinem Kauf nichts falsch gemacht zu haben. Grundlegende Funktionalitäten sind längst kein Thema mehr. Abstriche bei Prozessor, Display und Kamera muss man zwar immer noch machen, doch hat der Laden spätestens mit dem Fairphone 3+ bewiesen, dass ein Kauf keine Verzichtserklärung mehr sein muss. Die fairen und ökologischen Bedingungen kosten immerhin. Und das ist die erste Wahrheit mit der man sich abfinden muss. Unser bisheriger Wohlstand war nur durch Ausbeutung anderer möglich. Wenn wir das ändern wollen, dann kommen deutlich höhere Kosten auf uns zu. Ein Smartphone mit ähnlichen Features wie das Fairphone 4 (ca. 550-650€), welches konventionell hergestellt wurde kostet irgendwo zwischen einem Drittel und der Hälfte!

Krasse Vorteile bietet das Fairphone neben den bereits genannten Aspekten auch beim grundlegenden Aufbau, denn jedes einzelne Modul kann mit lediglich einem Schraubenzieher ausgetauscht werden. Dafür braucht es nicht einmal eine Anleitung, denn das innere des Geräts ist entsprechend bebildert. Das macht das Gerät zwar gefühlt doppelt so dick wie andere Smartphones, doch dafür gibt’s bei iFixit 10 von 10 möglichen Punkten. Go figure!

Dazu gibt Fairphone beispielsweise für das Fairphone 4 fünf Jahre Garantie sowie garantierte Softwareupdates bis Android 15. Außerdem lässt einem der Hersteller freie Wahl und bietet sogar Unterstützung bei der Installation alternativer Betriebssysteme, die in Sachen Privatsphäre und Sicherheit noch einmal weiter gehen als das vorinstallierte Android 11, welches völlig ohne unnötige bloatware daher kommt. Wer technisch nicht bewandert ist und trotzdem auf Spyware durch ISP und die großen Tech-Konzerne verzichten will, kann das mit dem Fairphone ohne weiteres angehen.

Detailiertere Tests des FP4 finden sich mittlerweile auch auf einschlägigen Seiten. Nichts an dem Gerät wird auf den ersten Blick für Begeisterung sorgen, doch von Verarbeitung bis Performance und mit ein bisschen Hilfe auch den Bilder, die die Kamera produziert gibt es nichts, was so wirkt, wie ein minderwertiges Smartphone. Ganz im Gegenteil, neben dem ebenfalls entgooglten Pixel 4A meiner Freundin braucht es sich in keinem Aspekt zu verstecken.

Letztendlich ist alles was es für den Kauf eines Fairphones heutzutage noch braucht, ein Ruck und ein wenig Vertrauen. Klar, es ist ein ganz schöner Klotz, aber ohne Alternativen wird es schwer eine Abwägung zu treffen, die nicht auf subjektivem Bedürfnis beruht. Und gleichzeitig verändert man mit einem Kauf natürlich auch nicht die Welt, zumindest macht man sie aber auch nicht aktiv schlechter. Das ist unser aller aktuellen Lage schon einiges…

Lasst uns wissen, was ihr von nachhaltiger und fairer Elektronik haltet und ob ihr denkt, dass es sinnvoll ist.

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